Wir wollen in der gesellschaftspolitischen Debatte rund um § 219 a StGB zum Denken anregen: Was genau stellt § 219 a StGB unter Strafe? Wann ist Werbung iSd § 219 a StGB grob anstößig? Wie ist die Norm in das Regelungskonzept der §§ 218 ff. StGB einzuordnen? Und: Stellt eine Abschaffung des § 219 a StGB den gesellschaftlichen und rechtlichen Kompromiss zum Schwangerschaftsabbruch in Frage?

 

 

Überblick zu § 219 a StGB

 

§ 219 a StGB stellt das „Werben“ für einen Schwangerschaftsabbruch unter Strafe. Bei den in § 219 a StGB niedergelegten Tatbeständen handelt es sich um Vorfeldtatbestände in Gestalt von abstrakten Gefährdungsdelikten zum Schutz des ungeborenen Lebens. Die Vorschrift gilt für alle Personen, nicht nur für Ärzt*innen. Gegenstand der Werbung im Sinne des § 219 a I Nr. 1 („Anbieten“, „Ankündigen“) können eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs sein. Die Norm unterscheidet hierbei nicht zwischen der nach § 218 StGB strafbaren Abtreibung, dem durch medizinische oder kriminologische Indikation gerechtfertigten (§ 218 a II, III StGB) und dem tatbestandslosen Abbruch nach erfolgter Beratung innerhalb von 12 Wochen nach Empfängnis (§ 218 a I StGB). § 219 a StGB schützt mit dem ungeborenen Leben ein so genanntes kollektives Rechtsgut. Bestimmte Handlungen in Bezug auf dieses Rechtsgut sollen nicht als „normale“ sozialadäquate Handlungsoption gesehen werden. Entsprechende Regelungen finden sich etwa in den §§ 131, 184 a StGB.

 

 

 

Hintergrund

 

Im Dezember 2017 wurde die Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel vom örtlichen Amtsgericht zu einer Geldstrafe von insgesamt 6000 € verurteilt, weil sie gegen den § 219 a StGB verstoßen haben soll. Im Oktober 2018 wurde dieses Urteil im Berufungsverfahren vom Landgericht Gießen bestätigt.

 

 

 

Aber was ist genau passiert, wenn eine einzelne Frau plötzlich das Gesicht der deutschen „Pro-Choice“ Bewegung wurde und worum geht es eigentlich bei dem „Werbeverbot für Abtreibungen“ gegen das Frau Hänel verstoßen haben soll?

 

 

 

Besucht man die Website der Praxis von Frau Dr. Hänel, findet man dort unter dem Oberpunkt „Spektrum“ eine Aufzählung der Leistungen, die von Patientinnen in Anspruch genommen werden können.  Als letzten Punkt liest man dort auch das Wort „Schwangerschaftsabbruch“.  Folgt man dem Link, der sich dahinter verbirgt, stößt man auf eine Seite, über die man einen elektronischen Flyer anfordern kann, der über die verschiedenen Methoden und Risiken der angebotenen Abtreibungsmethoden informiert. Auch über die aktuelle Gesetzeslage klärt Frau Hänel ihre PatientInnen durch ihre Website auf und betont, dass sie zu einem Termin die Beratungsbescheinigung nach § 219 II 2 StGB mitbringen sollen. Eine solche Bescheinigung muss gem. § 218 a I Nr. 1 StGB bestätigen, dass eine Beratung bei einer zuständigen Stelle durchgeführt wurde und/oder eine medizinische Indikation für den Schwangerschaftsabbruch vorliegt. 

 

Viele Menschen reagierten erstaunt über das Urteil und die Umstände, die diesem zugrunde liegen. So wird doch das Wort „Werbung“ in der Allgemeinheit nicht mit sachlichen Informationen in Verbindung gebracht. In einer Stellungnahme der Landesärztekammer Hessen wird betont, dass Frau Dr. Hänel auch nicht gegen die Bestimmungen von § 27 der Berufsordnung für ÄrztInnen verstößt, der die Werbung für ärztliche Leistungen regelt. Dieser Stellungnahme zufolge kann eine sachliche und weder anpreisende, irreführende oder vergleichende Information nicht als Werbung gewertet werden, was wohl mit dem allgemeinen Verständnis der Bevölkerung übereinstimmt. Was steckt also wirklich hinter § 219a StGB?

 

 

 

Die Norm geht ursprünglich auf den § 220 Reichsstrafgesetzbuch aus dem Jahr 1933 zurück. Die Nationalsozialistische „Erkenntnis der Wichtigkeit des Nachwuchses“ schlug sich in diesem Gesetz nieder. Das Werbeverbot überlebte das Nationalsozialistische Regime und auch die Argumentation bleibt dieselbe, damals wie heute in dem Urteil des Amtsgerichts gegen Frau Hänel: Über einen Schwangerschaftsabbruch soll nicht geredet werden, als wäre es „eine normale Sache“ (so zitierte die Sueddeutsche Zeitung die Richterin des Amtsgerichts). Die erhöhten Anforderungen an die Strafbarkeit aus § 219 a StGB aus dem Jahr 1974, die verlangen, dass die Information wegen eines Vermögensvorteils oder in grob anstößiger Weise erfolgen muss, ändern nichts an dem Ergebnis: ÄrztInnen dürfen nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren, da es in der Natur der Sache liegt, dass sie diese Leistung gegen finanzielle Mittel durchführen (so zumindest des Landgericht Gießen).

 

 

 

 

 

Zur weiteren Information rund um § 219 a StGB:

 

-          Rechtsgutachten des Deutschen Juristinnenbundes: https://www.djb.de/verein/Kom-u-AS/ASRep/st18-09/

 

-          Rechtsgutachten der Gesellschaft für Freiheitsrechte: https://freiheitsrechte.org/home/wp-content/uploads/2018/06/GFF_Gutachten_219a_StGB.pdf

 

-          Urteil des LG Gießen vom 12.10.2018 (Az.: 3 Ns 406 Js 15031/15): http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/lexsoft/default/hessenrecht_lareda.html#docid:8159242.

 

-          Urteile des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv039001.html und http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html

 

-          Entwurf § 219 a StGB von 1972: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/034/0603434.pdf