"Wir sind ein Raum, in dem gesagt wird: wir sind da, wir sind für euch offen!"

Interview mit Katja Dunkel von der Kanzlei Dunkel Richter

Katja Dunkel ist gemeinsam mit Rebecca Richter Gründerin der Kanzlei Dunkel Richter. Es ist erklärtes Ziel der beiden, für mehr Solidarität, Gleichberechtigung und moralische Verantwortung in der anwaltlichen Praxis einzustehen. Sie wollen eine Alternative zum Status Quo in der Anwaltschaft sein und zeigen, dass Progressivität und Toleranz auch zum Juristenalltag gehören. Deshalb vertreten sie insbesondere Frauen und LGBTQIA*-Menschen, die ansonsten häufig Probleme haben, die rechtliche die rechtliche Unterstützung zu bekommen, die sie brauchen.

(beistehendes Foto von Rene Fietzek)

 


Jura[sic]: Was sind die häufigsten Anliegen, mit denen Mandant*innen zu euch kommen? Welche Rechtsfragen werden typischerweise behandelt?
Dunkel
: Wir haben unterschiedliche Bereiche. Wir machen sehr viel im Presse- und Äußerungsrecht, vor allem wenn es um MeToo-Fälle geht oder sexuelle Belästigung geht. Speziell bei unseren queeren Mandant*innen haben wir sehr viel Hasskriminalität im Netz, also Kommentare auf Instagram oder Facebook, die abgewehrt werden müssen. Dann haben wir noch eine andere Sparte mit Filmrecht und Musikrecht, wir beraten sehr viele Autor*innen, die freiberuflich tätig sind. Dies ist eine Sparte, die nicht so emotional belastend oder aufgeladen ist.

Jura[sic]: Gibt es besondere Bedürfnisse, die gerade queere Menschen in der Rechtsberatung haben?
Dunkel
: Ich denke ganz grundsätzlich, unabhängig von den rechtlichen Problemen, mit denen diese Menschen auf uns zukommen, ist einfach das Bedürfnis da, anders aufgenommen oder anders verstanden zu werden. Das fängt schon alleine an mit der Frage nach den Pronomen und der richtigen Anrede. Wir wollen Mandant*innen das Gefühl geben, das hier ein sicherer Raum ist und man kommen kann, egal welches Anliegen man hat, wir weisen hier keinen ab. Ich glaube, das ist das, was die Betroffenen sich wünschen, was auch sehr gut entgegengenommen wird. Wir sind ein Raum, in dem gesagt wird: „Wir sind da, wir sind für euch offen“, sodass die Schwelle nicht so groß ist.

Und wenn es jetzt tatsächlich um die rechtliche Einordnung geht, dann würde ich sagen, dass es schon auffällig ist, dass diesen Menschen vermehrt Hasskriminalität entgegen gebracht wird. Wir haben teilweise auch Fragen zu Namensänderungen oder zum Abstammungsrecht, das ist natürlich sehr queerspezifisch.

(Anm. der Redaktion: Das Abstammungsrecht bestimmt die rechtliche Zuordnung einer Person zu deren Eltern. Es gibt dabei einen entscheidenden Unterschied bei lesbischen und heterosexuellen Paaren: Während bei heterosexuellen Paaren der Partner automatisch als Vater anerkannt wird, wird bei einem lesbischen Paar nur die Gebärende als Mutter anerkannt. Für die rechtliche Anerkennung als Mutter hat die Partnerin nur die Option, das Kind im Rahmen einer Stiefkindadoption zu adoptieren, die auch hürdenbehaftet ist).

Ansonsten beschäftigen wir uns mit wirklich allen rechtlichen Sachen, die sonst anfallen könnten.

Jura[sic]: Und gibt es da (gerade in Bezug auf die Bedürfnisse von queeren Menschen) Strukturkonservatismus, der besonders auffällig ist? Wir denken da z.B. an die Frage nach den Pronomen, die sonst ja nicht gestellt wird, gibt es vielleicht noch andere Beispiele dafür?
Dunkel
: Ich denke schon. Zum einen ist es Faulheit, weil die Leute sich nicht mit neuen Dingen oder anderen Bedürfnissen beschäftigen wollen. Andere Beispiele sind z.B. auch Verträge, die durchweg männlich gestaltet sind. Vieles ist aber auch aus Prinzip, dieses: „das haben wir schon immer so gemacht und das bleibt jetzt auch so“. Da merken wir schon, dass das auch sehr gerne entgegengenommen und wertgeschätzt wird, wenn man sich einfach mal die Mühe macht und einen Vertrag an das tatsächlich passende Pronomen anpasst, bei unserer E-Mail-Signatur unsere Pronomina aufführen oder bei Schriftverkehr an Personen, bei denen wir es einfach nicht wissen, einen Disclaimer reinmachen, dass wir uns bezüglich der Ansprache nicht sicher sind und dass man uns mitteilen soll, was die gewünschten Pronomen sind.

Strukturkonservatismus spiegelt sich aber auch im allgemeinen Zugang zum Recht wider. Wir haben schon erlebt, dass Personen, die in manchen Augen äußerlich nicht einer konservativen Norm entsprechen, gar nicht erst rechtlich beraten werden, weil viele Kanzleien mit solchen Fällen nichts zu tun haben wollen und ihnen die Thematik zu heikel ist. Um diesem Strukturkonservatismus zu begegnen, kann man Sichtbarkeit schaffen für viele Themen. Man kann die ganze Anwaltschaft auch ein bisschen sensibilisieren und darauf hinweisen, dass es anders geht und man sich keinen Zacken aus der Krone bricht, wenn man da mal über seinen Schatten springt.

Jura[sic]: War das ein Grund dafür, warum du und Rebecca die Kanzlei gegründet haben? Gab es da einen konkreten Anlass?
Dunkel
: Einen ganz konkreten Anlass gab es nicht, wir waren einfach mit der Situation unzufrieden, die im Moment besteht: Gerade die Anwaltschaft ist eine sehr männlich beherrschte Branche. Meiner Erfahrung nach liegt auch Sexismus in vielen Kanzleien an der Tagesordnung, was noch nicht einmal gesehen wird, das hat uns sehr frustriert. Dann war auch noch Mitauslöser der Gründung, dass es nicht so viele Gründerinnen gibt. Im Vergleich sind wenige Kanzleien von Frauen geführt. Das ganze Thema New Work oder Work-LifeBalance ist in den Kanzleien auch noch nicht angekommen. Man brüstet sich in Kanzleien ja immer noch damit, die 60 bis 70 Stunden die Woche zu schieben, was unserem Wunsch irgendwie gar nicht entspricht, wie wir leben und arbeiten möchten. Und es war einfach  nicht möglich, das von innen heraus zu ändern oder Anreize zu geben, ob man vielleicht eine 4-Tages-Woche einführen kann, ob manche Menschen in Teilzeit gehen können, Homeoffice wurde auch immer abgewehrt. Wir dachten, wenn wir so viele Dinge haben, die wir uns anders vorstellen, dann wäre es doch toll, selbst zu gründen. Dann ist uns noch aufgefallen, dass bestimmte Gruppen so gar nicht repräsentiert sind, weder in der Mandatschaft, noch unter den Kolleg*innen. In der Partner*innenriege sind tatsächlich auch meistens Partner und nicht sehr viele Partnerinnen, generell gibt es kein besonders diverses Umfeld unter Kolleg*innen und wir wollten einen Fokus auf die Gruppe legen, die uns fehlt, nicht nur als zukünftige Mandant*innen, sondern auch an unserem Arbeitsplatz.

Jura[sic]: Wie sieht denn der Arbeitsalltag in eurer Kanzlei aus?
Dunkel
: Uns gibt es jetzt seit fast anderthalb Jahren, der Alltag wechselt teilweise noch, so richtig Routine haben wir noch nicht. Es passiert einfach sehr viel und wir sind, ich sag mal, sehr wendig. Allein was Praktikant*innen und Referendar*innen betrifft haben wir einen guten Wechsel und es sind immer neue Leute da. Wir haben tatsächlich auch eine 4-Tages-Woche. Ich würde sagen wir kommen morgens ins Büro und dann wird erstmal Kaffee gekocht, wie das so üblich ist. Dann beantworten wir E-Mails, bearbeiten die Fälle, die man auf dem Schreibtisch hat und telefonieren viel. Ich glaube, was besonders ist und auch dem geschuldet, dass wir zu fünft sind und nicht 20 oder mehr Kolleg*innen, ist unsere offene Diskussionskultur. Wir sitzen alle in einem Raum, wir sprechen die Fälle offen an und kommen sehr häufig gemeinsam zu einer Lösung. Unser Arbeitsalltag ist sehr von Kommunikation geprägt. Und dann gehen wir irgendwann nach Hause, ich würde sagen ein ganz normaler Alltag (lacht).

Jura[sic]: Hast du bei der Arbeit mit queeren Menschen irgendwelche Hürden oder bestimmte Herausforderungen erwartet? Haben sich diese bestätigt?
Dunkel
: Ich habe schon erwartet oder sehr viel Respekt davor gehabt, dass man mit vielen Problematiken in Berührung kommen wird, die sehr persönlich sind, die auch oft ein Verständnis erfordern, dass man vielleicht eher aufbringen kann, wenn man gewisse Dinge schon erlebt hat. Natürlich hat man Angst, ob man allen Fragestellungen gerecht werden kann und ob man mit den Problemen einfühlsam und sensibel genug umgeht. Ich glaube aber, dass das keine queerspezifische Sache ist, sondern, dass der Anwaltsberuf diese Art von Empathie fordert. Ich glaube, es ist immer eine Herausforderung, sich neben dem Rechtlichen und dem Inhaltlichen noch um eine menschliche Ebene zu bemühen.

Jura[sic]: Hast du das Gefühl, auch aus dem was Referendar*innen und Praktikant*innen erzählen, dass sich seit deiner Studienzeit an den Universitäten etwas getan hat, gerade in Bezug auf Queerfreundlichkeit, Sexismus, Umgang mit Sexismus, etc.?
Dunkel
: Ich bin ja jetzt schon eine Zeit lang raus aus der Uni. Wir haben viel Kontakt dadurch, dass wir Praktikant*innen und Referendar*innen haben. Leider muss ich sagen, habe ich das Gefühl, dass da sehr wenig passiert, und wenn, dann sehr schleppend. Ich glaube, dass es immer noch sehr wenige Professorinnen gibt. Ich glaube auch nicht, dass es besonders viele Angebote für queere Studierende gibt. Ich denke allerdings, dass gerade in der Gesellschaft viele Themen angesprochen werden und sich da viel tut, sodass unabhängig vom Juristischen viele Safe Spaces geschaffen wurden und diese Themen Aufmerksamkeit bekommen. Und allein, dass wir dieses Interview führen, zeigt ja, dass da Bewegung drin ist und es Menschen gibt, die sich dafür einsetzen und Aufmerksamkeit auf das Thema lenken wollen, was sehr schön ist. Vielleicht ist der Ausblick auch etwas düster, wir haben durch die Gründung ein tolles Netzwerk aufgebaut und sehen auch, dass es viele junge Kanzleien gibt, die das ebenfalls ganz anders als die konservativen Reihen aufziehen wollen,
die auch eigene Ideen entwickeln und Dinge anders angehen. Von daher glaube ich schon, dass da einiges im Wandel ist.
Jura[sic]: Hast du vielleicht Tipps für queere Menschen, wie man mit Hass im Internet im ersten Moment besser umgehen kann?
Dunkel
: Um nur die juristische Seite zu beleuchten – hier tun wir alles in unserer Macht Stehende, um gegen solche Angriffe vorzugehen. Durch die häufige Anonymität im Netz ist es teils sehr schwierig, etwas zu bewirken – wir raten aber immer zum Anfertigen rechtssichere Screenshots, das ist der erste Schritt.
Jura[sic]: Was ist denn ein rechtssicherer Screenshot?
Dunkel
: Es ist z.B. extrem wichtig, dass Datum und Uhrzeit mit im Screenshot sind, das passiert auf manchen Webseiten nicht. Da gibt es tolle Anleitungen im Internet, wie man das rechtssicher gestaltet. Und wenn man das beherzigt, kann man gut beweissicheres Material festhalten, wodurch dann auch ein Prozess viel leichter zu führen ist.

Jura[sic]: Was wäre dein Tipp, was man tun kann, um die langsame und zähe Veränderung der konservativen Strukturen an den Universitäten zu beschleunigen? Was kann man an Input reinbringen, um das mehr zum Thema zu machen?
Dunkel
: Ich finde, genau solche Sachen anzubieten, Interviews zu führen, Workshops zu machen, Aufmerksamkeit auf solche Workshops zu lenken, vielleicht auch Professor*innen fragen, ob sie daran teilnehmen wollen. Je mehr Sichtbarkeit ein Thema bekommt, desto mehr wird sich damit auseinandergesetzt und vielleicht letztendlich auch geändert. Ansonsten glaube ich, dass wenn eine Struktur, so wie die Juristerei, jahrelang gewachsen ist, bis sie jetzt so ist, wie sie ist, dauert es einfach unfassbar lange, bis man etwas aufbrechen kann. Im beruflichen Umfeld gibt es dann schon wirklich tolle Angebote, in denen man eben nicht in diesen konservativen Strukturen gefangen sein muss. Man kann Netzwerke schaffen, auch viele weibliche Netzwerke, um der Männerdominanz etwas entgegenzuwirken. Man kann sich vielleicht auch klarmachen, dass man jetzt zwar noch nicht in der Position ist, in der man irgendetwas schnell verändern kann, es aber vielleicht irgendwann einmal sein wird. Und da ist auf jeden Fall das Potenzial vorhanden. Ich fand damals meine Zeit an der Uni auch sehr einschnürend, nicht nur, was das Konservative angeht, sondern auch einfach wie das Jurastudium generell aufgebaut ist, mit wieviel Druck und Angstmacherei da gearbeitet wird. Das müsste alles mal reformiert werden.

Dieses Interview wurde im Zusammenhang mit einem Workshop zur queerfeministischen Anwaltspraxis mit Dunkel Richter Rechtsanwältinnen im Rahmen unseres Semesterthemas "Queerness und Recht" geführt. Bei Interesse an den Inhalten dieses Workshops wende dich gerne an die Redaktion.