Beleidigungen, Hass und Hetze im Netz – Warum kommen wir nicht dagegen an?

Von Noëlle Stojan

Stell dir vor, du wurdest auf Instagram schwer beleidigt. Vielleicht wurde dir auch mit dem Tode gedroht. So etwas geschieht in den Sozialen Medien täglich.

Deine Mission ist es nun, erfolgreich Anzeige zu erstatten, das heißt ein Ermittlungsverfahren anzustoßen, das hinterher auch vor Gericht landet. Beleidigungen und ähnliche Straftatbestände werden in Deutschland in den §§ 185 ff. StGB geregelt. In Bezug auf die Strafverfolgung wird in Deutschland immer wieder vertreten, die digitale Welt und die analoge Welt seien gleichzusetzen und somit auch gleich zu behandeln. Doch wieso lassen sich Anzeigen von Straftaten in der analogen Welt weitgehend erstatten, während Anzeigen von Straftaten in der digitalen Welt oftmals entweder nicht aufgenommen werden oder nach einigen Monaten aufgrund der Nichtauffindbarkeit der Täter*innen, fallen gelassen werden?

 

Genau diese Defizite der Strafverfolgung im Netz wurden erst kürzlich durch eine Sendung des ZDF Magazin Royale veranschaulicht. Mitarbeitende der Sendung hatten im August letzten Jahres in allen 16 Bundesländern versucht, Anzeigen gegen dieselben strafrechtlich relevanten Inhalte aus dem Netz zu erstatten. Unter den Postings, die der Polizei jeweils als Screenshots vorgelegt wurden, befanden sich unter anderem Abbildungen von NS-Symbolen, antisemitische Inhalte sowie Mord- und Gewaltaufrufe. Die Ergebnisse des Experiments sind ernüchternd: in manchen Bundesländern konnten die Anzeigen gar nicht erst erstattet werden, in anderen Bundesländern wurden Ermittlungen erst zu spät eingeleitet und verliefen überwiegend nicht erfolgreich. [Sendung vom 27. Mai 2022: Wo die deutsche Polizei bei der Verfolgung von Straftaten im Internet versagt; https://tatütata.fail] Auch unsere tägliche Konfrontation mit Hass im Netz zeigt doch, dass die analoge und digitale Welt schwer miteinander verglichen werden können. Eine Gleichstellung der beiden in Bezug auf die Strafverfolgung von Hasskriminalität könnte der falsche Ansatz und damit folgelastig sein. Wäre es daher nicht sinnvoll, dieses Problem noch einmal von vorne anzugehen und zuzusehen, dass wir endlich eine vernünftige Anlaufstelle haben und wenn ja, wie ließe sich das umsetzen?

 

I. Die strukturellen Unterschiede der digitalen und analogen Welt
Zuerst bietet es sich an, die tatsächlichen Strukturen der beiden Systeme miteinander zu vergleichen. Dabei muss auf die Aspekte Reichweite, Geschwindigkeit und Anonymität eingegangen werden. Bezüglich der Reichweite ist bei Hasskriminalität in der analogen Welt danach zu differenzieren, ob und wie die Beleidigung bzw. Hassrede an die Öffentlichkeit gelangt. Bei einer persönlichen Konfrontation bekommt dies höchstwahrscheinlich gerade einmal das Umfeld mit. Das Opfer könnte allerdings direkt Anzeige erstatten und eventuell  sogar die Identität des Täters bzw. der Täterin nennen. Daneben kann es natürlich auch Äußerungen auf größeren Veranstaltungen geben, wie bei Demonstrationen, Parteitagen, Stadtfesten oder sonstigen öffentlichen Auftritten. Auch diese lassen sich oftmals gut verfolgen, vor allem da sie meist viele Zeug*innen mit sich bringen. Sofern die Äußerung hier nicht aufgenommen und veröffentlich wird, ist der Kreis der Menschen, die die Äußerung mitbekommen und eventuell darunter leiden, doch begrenzt. Ganz anders ist dies in der digitalen Welt.

Kommentiert man strafrechtlich relevante Inhalte unter einem öffentlichen Post oder veröffentlicht Hetze zum Beispiel auf Twitter, können dies grundsätzlich erstmal alle Nutzer*innen der Plattform sehen. Des Weiteren findet eine Verbreitung in wenigen Sekunden durch retweeten, hochliken oder teilen statt. Damit können auch Personen, die die Plattform überhaupt nicht nutzen, in Berührung mit den strafrechtlich relevanten Inhalten kommen. Natürlich gibt es auch in der digitalen Welt private Räume, der Fokus dieses Artikels soll jedoch auf der digitalen Öffentlichkeit liegen. Letztendlich lässt sich erkennen, dass Hass und Hetze im Netz ein viel größeres Publikum treffen können. Insofern ist auch die Gefahr, Räume mit Radikalisierungspotenzial zu schaffen, höher, was die Belastung und Sicherheitslage der Betroffenen verschärft.

Im Hinblick auf die Geschwindigkeit von analogem Hass ist wichtig, dass sich dieser durch verbale und schriftliche Äußerungen sowie durch Schilder und Symbole zeigt. Prinzipiell spielt es keine Rolle, ob die Hetze nun durch ein direktes Gespräch, durch Rufe in der Öffentlichkeit, auf Demonstrationen oder durch einen Brief zum Opfer gelangt, pro Zeiteinheit gibt es eine geringere Anzahl an veröffentlichter Hetze als im Netz. In der digitalen Welt können Beleidigungen ununterbrochen auf uns einprasseln. Der*die Täter*in muss nicht vielmehr tun, als Worte einzutippen, ein Bild hochzuladen oder einen Aufruf zu starten. Das kann die Person ganz gemütlich von Zuhause aus machen, ohne dass sich ihr irgendwelche Hürden in den Weg stellen. Im Vergleich zur analogen Welt erreicht man das gewollte Opfer oder eine bestimmte Zielgruppe also mit weniger Aufwand und höherer Geschwindigkeit.

Der wohl wichtigste Unterschied zwischen analoger und digitaler Welt ist jedoch die Anonymität. Bei Beleidigungen im engen Kreis lässt sich das Gegenüber oft leicht ermitteln, in manchen Fällen ist der*die Täter*in dem Opfer sogar bekannt. Auch auf Demonstrationen, auf denen Hass und Hetze verbreitet werden, können sich die Täter*innen trotz Skihaube und Sonnenbrille ermitteln lassen. Natürlich funktionieren die Ermittlungen je nach Situation mehr oder weniger gut. Die Polizei ist in den meisten Fällen jedoch so gut ausgestattet, dass sich auch Briefe zurückverfolgen lassen. Wo es an der Ausstattung allerdings zu mangeln scheint, ist bei der Strafverfolgung im Internet. Wie auch das Experiment des ZDF Magazin Royale gezeigt hat, scheint es den Ermittelnden oftmals an Kompetenz und Mitteln zu fehlen, den*die Täter*in ausfindig zu machen, was auch dadurch erschwert wird, dass es keine Pflicht gibt, Klarnamen anzugeben. Im Internet kannst du sein, wer du willst, das haben wir oft gehört und es stimmt.
Man kann sich auf den meisten Social Media Plattformen, wie Snapchat, Instagram und Twitter, mit irgendwelchen Namen anmelden, was den Ermittelnden die Arbeit erschwert. Zusätzlich erschwert wird die Strafverfolgung durch die heute gängige Nutzung von VPN (Virtual Private Network) Verbindungen oder Plattformen im Darknet, welche ein nahezu vollständig anonymes Wirken im Netz sicherstellen. Eine Verfolgung wäre theoretisch über die IP-Adresse der jeweiligen Nutzer*innen möglich, was allerdings durch die Plattformen verhindert wird. Im Internet werden also Beleidigungen, Hass und Hetze von Personen verbreitet, die sich nicht klar ermitteln lassen, wodurch die Chancen einer Verurteilung sinken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Internet nicht mit der analogen Welt gleichzusetzen ist. Es ist komplexer, schneller und erreicht viel mehr Leute als Taten in der analogen Welt. Zudem ist die Strafverfolgung im Netz oft aussichtslos, da eine vergleichbar hohe Anonymität gegeben ist. Die Gefahr, die von Hetze im Netz ausgeht, ist insofern größer.

II. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – ein Lösungsansatz?
Es kommt also nur selten so weit, dass ein*e Täter*in bestraft wird. Dabei gibt es in Deutschland seit 2017 das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, dessen Ziel es ist, eine wirksame Bekämpfung von strafbaren Inhalten in den sozialen Netzwerken zu ermöglichen. Dieses mag in der Theorie auch sinnvoll sein, allerdings ist die praktische Umsetzung miserabel. So haben die Auswertungen der Halbjahresberichte ergeben, dass die meisten
Kommentarlöschungen doch auf den Nutzungsbestimmungen der Plattformen selbst basieren. Seit neuestem sind die Plattformen dazu verpflichtet, die IP-Adressen der Urheber*innen von bestimmten Straftaten an eine Meldestelle des BKA weiterzuleiten. Es kam nicht unerwartet, dass sich Plattformen wie Facebook dagegenstellen.

Kritisiert wird hier vor allem die hohe Fehlerquote, also die Weiterleitung und Speicherung der Daten von Urheber*innen, die  eigentlich keinen strafbaren Inhalt verfasst haben. Es ist zwar offensichtlich, dass wir strengere Regeln brauchen, um Täter*innen aus dem Verkehr zu ziehen, dennoch ist es nicht zu vertreten, wahllos in die Freiheiten von unschuldigen Menschen einzugreifen. Das NetzDG mag also keine schlechte Idee sein, es bedarf allerdings noch an Verbesserungen, wie zum Beispiel strengere Überprüfungen der Kommentare und die Garantie, dass die Daten von Nicht-Täter*innen auch nicht gespeichert werden. Nur wenn die Plattformen ihre eigenen Versprechen gegenüber den Nutzer*innen auch einhalten können, werden sie sich bereit erklären, stärker mit dem BKA und Co. zusammenzuarbeiten.

III. Die zentralen Spielfiguren
Wir sehen also, dass bei der Strafverfolgung im Netz mehrere Parteien beteiligt sind. Betrachten wir diese genauer, erkennen wir fünf zentrale Spielfiguren: Der*die Täter*in, das Opfer, die Polizei, die Plattformen und die Gesetzgebenden. Auf den*die Täter*in, die Plattformen und die Gesetzgebenden wurde bereits kurz eingegangen. Nun soll noch auf die letzten beiden Parteien dieses vernetzten Fünfecks eingegangen werden: das Opfer und die Polizei.

Die Strafverfolgung scheitert in den meisten Fällen schon daran, dass das Opfer die Beleidigungen, den Hass, die Hetze oder die Todesdrohungen schon gar nicht mehr bei den Plattformen meldet, geschweige denn bei der Polizei anzeigt. Dies hat mehrere Ursachen: einerseits ist die Menge an Hass, mit der man täglich im Internet konfrontiert wird, so groß, dass man sich oftmals gar nicht mehr darum kümmern kann. In der jetzigen Generation wird es als normal erachtet, dass das Internet kein rosarotes Paradies ist. Personen des öffentlichen Lebens, denen regelmäßig mit dem Tod gedroht wird, wird zum Teil vorgeworfen, sie seinen selbst daran schuld, da sie ihr Leben so freizügig zeigen. Dabei wird immer wieder vergessen, dass es eben nicht normal ist, täglich beleidigt, gemobbt oder diskriminiert zu werden. Zudem haben viel zu wenig Nutzer*innen gute Erfahrungen mit den Meldesystemen der Plattformen oder der Polizei gemacht. Zwar besteht die Möglichkeit, jeden Kommentar, jeden Post, sogar jeden Nutzer und jede Nutzerin zu melden, allerdings wird man oft mit der Antwort abgewiesen, dass nichts Verbotenes gefunden werden konnte. Dies ruft Unverständnis hervor und führt dazu, dass viele es gleich lassen. Auch eine Anzeige ist in vielen Fällen hoffnungslos, erinnern wir uns nur an das oben angesprochene Experiment des ZDF Magazin Royale.

Damit kommen wir auch zur fünften Spielfigur: den Ermittlungsbehörden. Natürlich darf nicht von vornherein gesagt werden, dass keine Polizeistelle Ermittlungsergebnisse bei der Strafverfolgung im Internet vorweisen kann. Es gibt durchaus erfolgreich erstattete Anzeigen, verständnisvolle Mitarbeiter*innen, erfolgreiche Ermittlungen und Verurteilungen vor Gericht. Das Problem ist nicht, dass nichts gemacht wird, sondern dass zu wenig gemacht wird. Wenn eine Anzeige aufgegeben werden konnte, scheitert es hinterher oft daran, den*die Täter*in zu ermitteln. Dabei ist es nicht unmöglich, auch anonyme Nutzer*innen zu finden. Klar spielen hier auch die Plattformen eine große Rolle, woran man gut erkennt, wie vernetzt das besagte Fünfeck ist. Allerdings ist eine Ermittlung auch mit der richtigen Zeit, den passenden Expert*innen und den nötigen Kapazitäten möglich. Das andere Problem ist, dass nicht selten eine Anzeige nicht erst genommen wird, sodass es gar nicht erst zu Ermittlungen kommt. Es mangelt an Aufklärung und Einsicht der Gefahr. Dies bremst die Bekämpfung des Hasses im Internet. Wird man als Opfer nicht ernst genommen, macht man sich gar nicht erst die Mühe, Anzeige zu erstatten, womit wir wieder bei den Betroffenen wären.

IV. Fazit
Erkennbar ist also nicht nur, dass diese Problematik viel zu komplex ist, um nun auf alle Punkte einzugehen, sondern auch, dass wir noch lange keine guten Lösungsansätze haben. Einerseits brauchen wir strengere Regeln und eine härtere Strafverfolgung, anderseits wollen wir auch die Freiheiten der Nutzer*innen nicht übermäßig beschränken. Dieser Widerspruch führt dazu, dass die beteiligten Parteien mehr oder weniger bei der Strafverfolgung mitarbeiten. Damit wir eine funktionierende Lösung finden, muss aber an allen Stellen angesetzt werden. Den Opfern muss gezeigt werden, dass sie sich jederzeit an Polizei und Staatsanwaltschaft wenden können. Es muss deutlich werden, dass es nicht sinnlos ist, gegen Hass im Internet zu kämpfen. Die Zusammenarbeit zwischen Plattformen und Ermittlungsbehörden muss bestehen bleiben, allerdings muss trotzdem die Datensicherheit der Nutzer*innen gewahrt werden. Die Polizei muss im Umgang mit den Betroffenen und der Thematik geschult werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass Hass und Hetze im Netz ein ernsthaftes Problem sind. Die Gesetzgebenden sind dabei verantwortlich, gesetzliche Grundlagen möglicher Lösungen zu schaffen.
Es ist doch eindeutig: Das Internet ist nicht gleich wie die analoge Welt und es wird es niemals sein. Die Nutzungsmöglichkeiten sind vielseitiger und risikobehafteter. Wir kommen zu keiner Lösung, wenn wir weiter mit der Einstellung arbeiten, dass die digitale Welt der analogen Welt gleichzusetzen sei. Vielmehr müssen wir uns von dieser Ansicht loslösen, aus falschen Entscheidungen lernen und daran arbeiten, eine sinnvolle und erfolgreiche Lösung zu entwickeln. Denn wenn das Internet und die analoge Welt etwas gemeinsam haben, dann, dass Hass und Hetze niemals toleriert werden sollten.