Arbeit in Justizvollzugsanstalten

Von Paula Grünewald

(Fast) keine rechtmäßige Zwangsarbeit in Deutschland
„Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. […] Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, […].“ (Art. 12 I, II GG)

Art. 12 des Grundgesetzes garantiert die Berufsfreiheit. Tatsächlich gilt diese jedoch nicht für alle Menschen in Deutschland. Gemäß Absatz 3 ist Zwangsarbeit „nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig“. Dass diese Regelung rechtmäßig ist, entschied das Bundesverfassungsgericht zuletzt 1998. Diese Leitentscheidung legt zwar fest, dass die geleistete Arbeit der Inhaftierten angemessene Anerkennung finden muss. Diese Anerkennung muss aber nicht in Geld erfolgen. 2016 erhoben zwei Inhaftierte aus Bayern und Nordrhein-Westfalen Verfassungsbeschwerde. Sie bezweifeln, dass ihre Leistung angemessen anerkannt wird. Das begründen sie insbesondere mit ihrem geringen Lohn. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage wird bald erwartet.

Für wen arbeiten die Inhaftierten?
Inhaftierte verrichten nicht nur Arbeit für die Justizvollzugsanstalt, wie zum Beispiel in der Kantine, sondern auch für einige private Unternehmen. Es ist nicht genau bekannt, welches Unternehmen wie viel in welchen Justizvollzugsanstalten produzieren lässt. Die Unternehmen fürchten eine Reputationsschädigung, da eine Produktion in Justizvollzugsanstalten für viele Menschen ein ausbeuterisches Bild des Unternehmens zeichnet. Die Justizvollzugsanstalten haben ein Interesse, ihre Auftraggeber geheim zu halten, da befürchtet wird, dass durch eine Offenlegung die Aufträge der Unternehmen wegbrechen würden. Eine Recherche des Deutschlandfunks hat über 80 Firmennamen ermittelt, darunter BMW, Volkswagen, Miele, Brennenstuhl und Edding.
Nach Recherchen des ARD-Magazins Plusminus zahlen die Unternehmen häufig Summen an die Justizvollzugsanstalten, die sich
an Tariflöhnen orientieren. Bei den arbeitenden Insassen kommt letztendlich jedoch nur ein Bruchteil dieses Geldes an.
Welche Anerkennung findet die Arbeit von Inhaftierten?
Die Arbeitsleistung eines Insassen wird mit einem bis drei Euro pro
Stunde entlohnt.
Zudem rechnen viele Bundesländer die verrichtete Arbeit auf den Zeitpunkt der Entlassung oder einen Urlaub aus der Haft an. In Bayern beispielsweise entsprechen zwei Monate verrichtete Arbeit einem freien Tag. Diese Form der Anerkennung gewichtete das
Bundesverfassungsgericht 1998 sehr stark in seiner Abwägung, sodass Zwangsarbeit mit entsprechender (nicht notwendigerweise finanzielle) Anerkennung rechtmäßig ist.
Welche Anerkennung findet die Arbeit nicht?
Der Lohn entspricht nur einem Bruchteil des gesetzlichen Mindestlohns. Angesichts der geplanten Erhöhung des Mindestlohns
auf zwölf Euro ist dies auffälliger denn je.

Des Weiteren werden arbeitende Inhaftierte nicht in allen Zweigen der Sozialversicherungen berücksichtigt. Die Justizvollzugsanstalten zahlen  einerseits für die Inhaftierten vorteilhaft in die Arbeitslosenversicherung ein, indem sie sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil einzahlen. Andererseits werden Inhaftierte insofern schlechter gestellt, als dass arbeitsfreie Tage (zum Beispiel auch Sonntage) nicht in den Berechnungszeitraum gefasst werden. Hauptsächlich kritisiert wird allerdings die fehlende Einbeziehung in die Rentenversicherung. Dies erhöht maßgeblich das Risiko, im Rentenalter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein und letztendlich die Gefahr der Altersarmut, obwohl (ehemalige) Inhaftierte teils jahrelang Vollzeit in den Justizvollzugsanstalten gearbeitet haben. Dabei ist es generell relativ schwierig nach einer Haft eine
sozialversicherungspflichtige Arbeit zu finden. Die Tatsache, dass Rentenbeiträge freiwillig geleistet werden können, ist in Anbetracht des niedrigen Lohns nicht hilfreich.

Wie kommt die geringe Anerkennung zustande?
Es fehlt eine Bindung an den Mindestlohn, da arbeitende Inhaftierte rechtlich nicht als Arbeitnehmende gelten. Stattdessen soll die Arbeit Inhaftierter eine Resozialisierungsfunktion erfüllen. Ohne Arbeitnehmerstatus haben Inhaftierte allerdings keinen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen in Haft.

Dieses Resozialisierungsziel ist auch der Grund dafür, weshalb Arbeit erzwungen werden darf und eine Verpflichtung zur Arbeit im Gefängnis in den meisten Strafvollzugsgesetzen der Länder in Übereinstimmung mit § 41 des Strafvollzugsgesetzes des Bundes verankert ist.

Als Argument gegen eine Orientierung an Löhnen, die Arbeitnehmenden gezahlt werden, wird u.a. durch das bayerische Justizministerium angeführt, die Arbeit der Inhaftierten sei deutlich weniger produktiv als die Arbeit, die in der freien Wirtschaft verrichtet werde. Fraglich ist dann allerdings, wieso Unternehmen in Justizvollzugsanstalten produzieren lassen, wenn sich dies mangels Produktivität nicht lohnen würde, gerade wenn an die Justizvollzugsanstalten eine Summe bezahlt wird, die in etwa mit Tariflöhnen vergleichbar ist. Die entscheidende Frage, die wohl auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung berücksichtigen wird, ist, ob eine höhere Vergütung zu einem Wegfall von Arbeitsplätzen in den Justizvollzugsanstalten führen würde. Dies wäre der Fall, wenn Unternehmen dann stattdessen an anderen Standorten billiger produzieren lassen würden.

Warum das Geld, das die Unternehmen den Justizvollzugsanstalten bezahlen, nicht so an die Inhaftierten weitergegeben werden kann, wird durch das Justizministerium mit den hohen Kosten des Justizvollzugs begründet. So verursache ein Inhaftierter täglich Kosten in Höhe von 157,76€.

Warum wird das Resozialisierungsgebot gerade durch die geringe Anerkennung der Arbeit gefährdet?
Arbeit hilft dem Resozialisierungsgebot, indem die Leistungsbereitschaft gefördert wird, Konflikt- und Kommunikationsfähigkeiten erprobt, Qualifikationen verbessert werden und ein auf der eigenen Leistung beruhendes Selbstbewusstsein entwickelt wird. Dadurch wird die berufliche und
soziale Integration von Inhaftierten gefördert. Inhaftierten soll der Wert einer regelmäßigen Arbeit für ein straffreies Leben vor Augen geführt
werden.
Durch eine so niedrige Vergütung wie sie aktuell gezahlt wird, besteht jedoch die Befürchtung, dass eher vermittelt wird, Arbeit würde sich nicht auszahlen, wodurch eine Resozialisierung nach der Haft erschwert wird. Bedenklich sind die starken Auswirkungen der Haftbedingungen auf das Leben nach der Haft auch vor dem Hintergrund, dass sie sich über die begrenzte Strafe durch Freiheitsentzug hinaus negativ auf das Leben der Haftentlassenen auswirken. Gut die Hälfte der Entlassenen sind überschuldet, wobei die Höhe der Durchschnittsverschuldung Schätzungen zufolge zwischen 5.000€ und 40.000€ liegt. Zudem können einige Inhaftierte während ihrer Haft ihre Familien nicht unterstützen und/oder
gegebenenfalls Unterhalt zahlen.

Angleichungsgrundsatz = "Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden." (§3 I StVollzG)

Auch wenn ein Vergleich mit dem Leben außerhalb der Haft im Sinne des Angleichungsgrundsatzes aufgrund der erlassenen Lebensunterhaltskosten hinkt, widerspricht die niedrige Vergütung und fehlende vollständige Einbeziehung in das Sozialversicherungssystems dem Angleichungsgrundsatz.
Wie sind die Aussichten für die Zukunft?
Bereits Reformkonzepte aus dem Jahr 1976 sahen die Einbeziehung der Inhaftierten in die Rentenversicherung vor. Das wurde allerdings bis heute nicht umgesetzt, da sich Bund und Länder nicht einigen konnten, wer die Kosten dafür tragen soll. Auch 2021 wurde der Anstoß, in Justizvollzugsanstalten arbeitenden Inhaftierten die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu ermöglichen, in den Koalitionsvertrag aufgenommen.
Eine Erhöhung des Lohns von arbeitenden Inhaftierten ist momentan nicht in Bearbeitung. Ein erster Kompromiss könnte ein Weg wie von Marlen Block, für die Linke im Brandenburger Landtag, 2020 gegenüber dem Deutschlandfunk vorgeschlagen darstellen. Sie schlägt vor, den Lohn schrittweise anzuheben und in einem weiteren Schritt zunächst anspruchsvollere Tätigkeiten höher zu entlohnen.