Große Universitätsmedaille für NS-Juristen

Von Jonas Treibel

s sind erst zwei Jahre vergangen, seit der Beck Verlag beschloss, einige seiner Standardwerke umzubenennen, da ihre Namensträger dem Nationalsozialismus verbunden waren. Nicht, dass die Vergangenheit besagter Juristen bis dahin ein großes Geheimnis gewesen wäre, schlicht der Druck wurde nach jahrelanger Diskussion zu groß, und der Verlag musste schließlich einlenken.

Für die Feststellung, dass die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der juristischen Ausbildung und Praxis auch heute noch keine Selbstverständlichkeit ist, muss man allerdings nicht den Weg zum Beck Verlag nach München auf sich nehmen. Es genügt auch, sich mit den Lehrinhalten bestimmter Schwerpunktvorlesungen an der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg zu beschäftigen. Für ihren Schwerpunkt legen Dozierende häufig Wert darauf, dass auch Wissen über wichtige Persönlichkeiten des jeweiligen Themenbereichs vorhanden ist. Für das Wirtschaftsrecht ist eine dieser Persönlichkeiten, mit deren Arbeit man sich nach Wunsch der Dozierenden beschäftigen sollte, beispielsweise Prof. Wolfgang Hefermehl.

Tatsächlich wird man Prof. Hefermehl seine Relevanz für das Wirtschaftsrecht nicht absprechen können. Er gilt gemeinhin als einer der einflussreichsten deutschen Wirtschaftsrechtler des 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus hatte er ab 1961 bis zu seiner Emeritierung einen Lehrstuhl an der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg inne. Sein großer Einfluss ergab sich unter anderem durch seine Kommentierungen des Aktienrechts und des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Für das UWG entwickelte er fünf Fallgruppen der Unlauterkeit, die weitreichend anerkannt waren, und für die er viel Zuspruch erhielt. Nach seinem Tod im Jahr 2001 sprachen Redner auf der Gedenkfeier der Universität Heidelberg in höchsten Tönen von ihm. Wenig später verlieh ihm die Universität Heidelberg posthum die Große Universitätsmedaille.

 

Wer die Mühe einer rund zweiminütigen Online-Recherche auf sich nimmt, findet noch einen weiteren Teil der Biografie Hefermehls. Tatsächlich arbeitete dieser spätestens ab 1935 im Reichsjustizministerium. Mitglied der NSDAP war er bereits zum 1. Mai 1933 geworden, Mitglied der SS zum 1. Oktober 1933. Im Reichsjustizministerium machte Hefermehl schnell Karriere, seine Arbeit wurde gelobt und sein Einsatz geschätzt.

Ein Tätigkeitsfeld Hefermehls war die sogenannte "Arisierung" der Wirtschaft.

Den Zweck der diesbezüglich erlassenen Rechtsänderungen beschrieb Hefermehl wie folgt: Ziel sei es den jüdischen Einfluß auf die deutsche Wirtschaft völlig zu brechen und damit die Judenfrage auf wirtschaftlichem Gebiet endgültig zu lösen. So formuliert er wörtlich in seinem Aufsatz „Die Entjudung der deutschen Wirtschaft“, veröffentlich in der Zeitschrift „Deutsche Justiz“ im Dezember 1938. Weiter schreibt er: „Sie [die erlassenen Rechtsänderungen] stellen zugleich den Abschluß eines im ganzen betrachtet einheitlichen und planmäßigen Gesetzgebungswerks mit dem Ziel der Gesamtentjudung der deutschen Wirtschaft dar. Nach Kriegsende tauchen solche Aufsätze in seinem Schriftenverzeichnis nicht mehr auf. Das erste Tätigkeitsfeld des bedeutenden Wirtschaftsrechtlers war demnach, Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen, ganz im Sinne der NS-Ideologie.

Über seinen Weg in der SS, der auf die Arbeit im Reichsjustizministerium folgte, ließe sich ebenfalls einiges berichten. Hier soll der Hinweis genügen, dass er im Sommer 1942 persönlicher Referent von Ulrich Greifelt wurde. Greifelt selbst wurde später als Hauptverantwortlicher für die Vertreibung von Menschen aus Slowenien, Elsass, Lothringen und Luxemburg als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.

Dies alles tat Hefermehls akademischer Karriere in der Bundesrepublik nach Kriegsende keinen Abbruch.

 

So wurde er nach mehreren akademischen Stationen, wie bereits erwähnt, ab 1961 Lehrstuhlinhaber in Heidelberg.

Zurück zur Gedenkfeier im Jahr 2001 an der Universität Heidelberg: Die Reden dieser Gedenkfeier liegen als Festschrift vor. An ihnen lässt sich fast exemplarisch die mangelnde Aufarbeitung des Nationalsozialismus nachzeichnen, und sie werfen kein gutes Licht auf den Umgang der Universität mit der NS-Vergangenheit ihrer eigenen Professoren.

Dass die Vergangenheit Hefermehls damals kein Geheimnis war, zeigt der Redebeitrag von Prof. Hommellhoff. Als einziger Redner nahm er mit zwei Sätzen tatsächlich Stellung zu Hefermehls Arbeit im Reichsjustizministerium. So ist das, was einer kritischen Einordnung damals wohl am nächsten kommt, das Folgende: Die Arbeit im Justizministerium habe Hefermehl „in unmittelbare, vielleicht zu große Nähe zu Franz Schlegelberger gebracht […] - zu diesem tragischen Staatssekretär im Justizministerium, einem der mörderischen Zentren der Macht“. Und weiter erklärt Hommellhoff: „So benetzt Tau meine Bewunderung und Erinnerung an diesen großen Rechtslehrer“. Das Motiv dieser Formulierungsweise ist bekannt - die Verfehlungen Hefermehls müssen mit äußerster Zurückhaltung kommentiert werden; sie liegen (wenn überhaupt) in „zu großer Nähe zu“ - und nicht etwa in aktiver Unterstützung des Nationalsozialismus.

Prof. Müller-Graf war als Dekan der Fakultät ebenfalls Redner für besagte Gedenkfeier. Er ist in Heidelberg auch heute noch als Dozent im Bereich des Wirtschaftsrechts tätig. Im Abriss der Biografie Hefermehls findet er folgenden Umgang mit der NS-Zeit seines ehemaligen Kollegen: „[E]instiger Student in Bonn, London und Berlin und „mit Glanz" zum Volljuristen avanciert; einstiger Jungjurist - noch unter Dreißig - in Berlin im Justizdienst und Justizministerium; in den Nachkriegsjahren dann […]“. Dass es sich bei jenem Justizministerium um das Reichsjustizministerium zur Zeit des Nationalsozialismus handelte, lässt sich allenfalls aus den darauffolgenden „Nachkriegsjahren“ erschließen. Auch dieses Motiv ist bekannt - die NS-Zeit wird hier gar nicht erst als solche benannt.

Der Höhepunkt eines – euphemistisch formuliert – unkritischen Umgangs mit Hefermehls Arbeit im Justizministerium findet sich in der Rede von Prof. Dr. Werner Knopp. Er blickte gar nicht erst auf ein problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus, sondern schlicht nur auf Hefermehls Karriere im „mitunter eisigen […] Berliner Reichsministerium der Justiz“. Er stellt erschüttert fest: „Die deutsche Katastrophe riß den Ministerialbeamten von einer scheinbar endgültigen Karriereschiene und warf ihn buchstäblich auf die Straße“. Hefermehls Karriere wird hier zum vermeintlichen Opfer der „deutsche[n] Katastrophe“.

So sprach und dachte man noch im Jahr 2001 über das Wirken Hefermehls, dem man, wie bereits erwähnt, anschließend auch noch die Große Universitätsmedaille verlieh. 

Auch mehr als 20 Jahre später werden im Studium Bezüge zu Hefermehl hergestellt, ohne dass auch nur der Versuch einer kritischen Einordnung vorgenommen wird.

2021 wurde § 5a des deutschen Richtergesetz geändert, dort heißt es nun „die Vermittlung der Pflichtfächer erfolgt auch in Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Unrecht […]“. Vielleicht wäre es ein Anfang, das nationalsozialistische Unrecht dort explizit zu thematisieren, wo es implizit schon die letzten Jahrzehnte vorhanden war, beispielsweise in der Auseinandersetzung mit der Person Prof. Hefermehl.

Das UWG war, wie eingangs erwähnt, für Hefermehl eines seiner wichtigsten Arbeitsfelder. Hierfür wurde er von vielen Seiten geschätzt, gelobt und zitiert. Ein Gesetz, dass die Lauterkeit, mit anderen Worten also die Anständigkeit, die Fairness, des Wettbewerbs schützen soll. Selbiger Jurist hatte Jahrzehnte davor daran mitgewirkt, dass tausende Jüdinnen und Juden aus dem Wettbewerb ausgeschlossen wurden, und die deutsche Wirtschaft einer - in seinen Worten - „Gesamtentjudung“ unterzogen wurde. Unnötig zu erwähnen, dass eine Restitution für Betroffene nach 1945 in den aller meisten Fällen nicht erfolgte, auch weil über 6 Millionen Jüdinnen und Juden von den Nationalsozialisten ermordet wurden. An diesem Widerspruch scheinen die wenigsten seiner Kolleg*innen Anstoß genommen zu haben.

Immerhin: Eine von der Universität Salzburg verliehene Ehrendoktorwürde wurde wegen Hefermehls Verbindung zum Nationalsozialismus ihm Jahr 2015 wieder aberkannt. Vielleicht wäre es auch für die Universität Heidelberg an der Zeit, sich ihres Verhältnisses zu ihrem ehemaligen Professor noch einmal bewusst zu werden und es zu überdenken. Sonst wird auch in Zukunft das entscheidende Suchergebnis zu Hefermehl und der Universität Heidelberg bleiben: Die Verleihung der Großen Universitätsmedaille.